Stadtacker Wagenhallen, Stuttgart-Nord

Urban Gardening Gemeinschaftsgarten seit 2012
Initiierung durch Isabelle Kulakow, Lisa Deister, Moritz Bellers und Johannes Jörg
1. Preis Stuttgarter Umweltpreis 2012
Auszeichnung als beispielhaftes Projekt
der Landesinitiative “Mittendrin ist Leben. Grün in Städten und Gemeinden in Baden-Württemberg”
Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württemberg
Auszeichnung im Sonderwettbewerb “Soziale Natur” der UN
durch die Vereinten Nationen, im Rahmen der UN-Dekade für Biologische Vielfalt
www.stadtacker.de

Auf den Flächen des ehemaligen Ausbesserungswerks der Bahn am Nordbahnhof Stuttgart wurden zu Beginn des Jahres 2012 Maßnahmen zur Dekontaminierung durch die Stadt Stuttgart durchgeführt. Dadurch wurde es möglich, die große brachliegende Schotterfläche an den Wagenhallen einer grünen Nutzung zu überführen. Da die öde Brache inmitten der Stadt und in unmittelbarer Nachbarschaft zu den kulturell sehr lebendigen Wagenhallen unwirtlich und triste anmutete, bestand von Seiten der Pächter und Betreiber der Wagenhallen großes Interesse, die Flächen mit Leben zu füllen. Langfristig entsteht hier ein neues Wohnquartier. Der Pachtvertrag erlaubt jedoch bis zum Jahre 2016 eine Zwischennutzung durch Urban Gardening, das den umliegenden Bewohnern und Nutzern eine Steigerung der Lebensqualität verspricht.

Im Rahmen des Architekturfestivals „72 Hours Urban Action“ im Sommer 2012 haben sich auf den Flächen der Wagenhallen einige begeisterte Stadtgärtner zusammengefunden um ein Gemeinschaftsgarten-Projekt im urbanen Kontext des Nordbahnhofareals zu gründen. Mit Rückhalt der Wagenhallen GmbH & Co.KG dem Kunstverein Wagenhallen e.V. ist es gelungen gemeinsam mit vielen freiwilligen Helfern und Teilnehmern ein gemeinnützige Gartenprojekt auf ca. 2000qm Fläche ins Leben zu rufen. Um auf der geschotterten Brache das Wachstum von Pflanzen überhaupt zu ermöglichen, war es zunächst nötig 30 LKW-Ladungen Oberboden aufzuschütten, der als Abraum von einer Baustelle geliefert wurde, anstatt auf einer Erddeponie entsorgt zu werden. Das Konzept sah vor, ein Sonnenblumenfeld als Rahmen um die Gemüsebeete zu pflanzen, da die exponierte Lage und das industrielle Umfeld nach Schutz verlangte. Im Zuge einer öffentlichen Aufrufts zur Pflanzaktion auf der Brache, wurde umringt von Baustellen und Industrie, ein Sonnenblumenfeld angesät.

In gemeinschaftlicher Arbeit wurde die Ansaat von Sonnenblumen, Mais und Quinoa gepflegt und ein Gießdienst organisiert. Bald stellte sich jedoch heraus, dass dem rein mineralischen Boden die Nährstoffe und Wasserspeicherkapazität fehlen. Viele Fuhren Pferdemist wurden kompostiert und auf die Fläche gebracht wurde. Untersaaten von Phacelia, Senf oder Klee halfen die Bodenstruktur verbessern und Stickstoff im Boden anreichern. Durch Kompost aus der Nachbarschaft wurden die frisch angelegten Gemüsebeete mit Humus und Regenwürmern versorgt. Die Wasserversorgung musste optimiert werden, eine eigene Kompostieranlage wurde gebaut und inzwischen sorgen einige Bienenvölker für die Bestäubung der gepflanzten Obstbäume. Rasant wuchs die Gruppe der Stadtackerer und zählt mittlerweile über 60 aktive urbane Gärtner, die jeweils einzeln, zu zweit oder in kleinen Gruppen Parzellen auf dem Stadtacker bewirtschaften. Viele stammen aus der Nachbarschaft des Nordbahnhofviertels, aber auch Gartenbegeisterte aus anderen Stadtteilen haben gezielt zum Stadtacker gefunden. Es hat sich eine offene, bunte Gemeinschaft gebildet aus Studenten, jungen Familien, Einwanderern und Arbeitern unterschiedlichster Herkunft.

Mit der Rekultivierung der Brache und der Bodenverbesserung am Standort wurde die Grundlage geschaffen, um Bewohnern der Stadt den Kontakt mit Erde und Pflanzen zu erlauben und Zugang zu Ackerfläche und Nahrungsmittelproduktion zu ermöglichen. Die Gärten sind offen und für jedermann zugänglich. Anwohner wurden animiert beim Projekt teilzunehmen und bislang konnte noch jeder Interessent eine kleine Gartenparzelle erhalten. Es gibt nicht viele Spielregeln bei diesem selbst-organisierten Projekt. Konsens besteht im grundsätzlich biologischen Gärtnern ohne Einsatz chemischer Produkte und in einer Bereitschaft sich beim gemeinschaftlichen Ansatz des Projekts einzubringen. Als selbstorganisierte Initiative von Bürgern ist das Gemeinschaftsgartenprojekt eine Maßnahme der Stadtraumgestaltung mit Bürgerbeteiligung im engsten Sinne.

Das Organisationsprinzip einer ungezwungenen, organischen Selbstorganisation, bei der jeder Teilnehmer seiner Motivation und Leidenschaften freien Lauf lässt, hat sich gut bewährt. Es finden Saatgut- und Pflanzen-Tauschbörsen statt, bei der die Gärtner der Stadt ihre besten Sorten, neuesten Züchtungen und frischen Setzlinge untereinander austauschen und teilen können. Stück für Stück etabliert sich der Stadtacker Wagenhallen als kultureller Ort in Stuttgart, an dem Nahrungsmittelproduktion in der Stadt und Gartenkultur praktiziert, ausgetauscht, vermittelt und erforscht werden kann. Der auslaufende Pachtvertrag und die zukünftige Bautätigkeit auf den Flächen wird dem Projekt früher oder später ein Ende bereiten. Doch wurde mit dem Gemeinschafts¬gartenprojekt die Chance einer temporären Duldung und Zwischennutzung optimal genutzt, um die Stadt ein Stück lebendiger und lebenswerter zu gestalten. Auch nach den Zeiten des Stadtackers werden sich Flächen in der Stadt finden, die mit entsprechender Motivation und Gestaltungswillen in eine grüne Oase verwandeln lassen.